Die drei parallel stattfindenden Regionalmeisterschaften (Süddeutsche Meisterschaft, Westdeutsche Meisterschaft und Nordostdeutsche Meisterschaft) sind vorüber und die Sieger stehen fest – alle drei Turniere hatten als Finalthema die Streitfrage “Hat der Mensch eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, sein persönliches Potenzial so weit wie möglich im Interesse des Gemeinwohls auszuschöpfen, auch zu Lasten persönlicher Präferenzen?”
Süddeutsche Meisterschaft (SDM) in Heidelberg:
Meister: Streitkultur Athene (Jan Ehlert, Sabine Wilke, Janek Elkmann – Streitkultur e.V., Tübingen) aus der Opposition
Vizemeister: Public Shaming (Ingo Bandhauer, Dariusch Klett, Madlen Stottmeyer – Debattierklub Wien)
Fraktionsfreie Redner: Martin Reinhardt (Heidelberg), Lukas Mengestu (Freiburg), Clarissa Schmidt (Freiburg)
Juroren: Alexander Hiller (Hauptjuror), Willy Witthaut, Barbara Schunicht, Zsolt Szilagyi, Jule Biefeld, Alexander Ropertz(Präsident)
Ehrenjury: Lothar Binding (MdB, SPD), Dr. Franziska Brantner (MdB, Grüne), Prof. Dr. Dieter Heermann(Universität Heidelberg), Manfred Metzner (Verleger), Thore Wojke (DDG)
Den Preis für die beste Finalrede vergab die Ehrenjury an Madlen Stottmeyer.
Westdeutsche Meisterschaft (WDM) in Wuppertal
Meister: Münster Martini (Johanna von Engelhardt, Philipp Schmidtke, Christoph Saß – Debattierclub Münster e.V.) aus der Opposition
Vizemeister: Aachen B (Ruben Brandhofer, Marc-Andre Schulz, Marcel Jühling – Debattierklub Aachen e.V.)
Fraktionsfreie Redner: Marion Seiche (Frankfurt), Allison Jones (Mainz), Felicitas Strauch (Münster)
Juroren: Christian Strunck (Hauptjuror), Jan-Gunther Gosselke, Leonardo Martinez, Alexander Labinsky, Timothy Mayer, Lukas Beichler (Präsident)
Ehrenjury: Prof. Dr. Lambert Koch (Universität Wuppertal), Prof. Dr. Michael Fallgatter (Universität Wuppertal), Jason Bartsch (Poetryslammer), Jens Henning Fischer (DDG)
Den Preis für die beste Finalrede vergab die Ehrenjury an Marion Seiche.
Nordostdeutsche Meisterschaft (NODM) in Göttingen
Meister: BDU Speck-King (Alexander Hans, Tobias Münch, Lara Tarbuk – Berlin Debating Union e.V.) aus der Opposition
Vizemeister: Hamburg – Wichtig, schön und sapiosexuell (Gina Konietzky, Nicolas Garz, Julian Staudt – Debattierklub Hamburg e.V.)
Fraktionsfreie Redner: Christof Kebschull (Berlin), Jan-Henrik Hinselmann (Göttingen), Pegah Maham (Berlin)
Juroren: Tina Rudolph (Hauptjurorin), Andrea Gau, Jan-Phillip Niedeck, Nikos Bosse, Habakuk Hain, Mario Dießner (Präsident)
Ehrenjury: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Bundesjustizministerin a.D., FDP), Prof. Dr. Ulrike Beisiegel(Universität Göttingen), Harald Martenstein (Journalist, ZEIT), Helmi Behbehani (Bürgermeisterin), Philipp Stiel (DDG)
Den Preis für die beste Finalrede vergab die Ehrenjury an Nicolas Garz.
Die Themen:
SDM:
R1: Brauchen wir eine hundertprozentige Erbschaftssteuer?
R2: Sollten Parteien Social Bots im Wahlkampf einsetzen?
Infotext: Social Bots sind Programme, die in sozialen Netzwerken menschliche Verhaltensmuster simulieren, als eigenständiger Account auftreten und ohne tiefere Analyse nicht von menschlichen Accounts zu unterscheiden sind. Sie teilen und kommentieren Tweets, Beiträge oder Posts, basierend auf vorgefertigten Algorithmen. Social Bots vernetzen sich außerdem mit menschlichen Accounts sowie anderen Social Bots. Anhand der Analyse von Textkörpern können Social Bots sogar auf aktuelle Ereignisse oder Allgemeinwissen verweisen und so “antworten”. Auch wenn alle großen Parteien für die Bundestagswahl behaupten, dass sie keine Social Bots einsetzen wollen, konnte kein Schulterschluss aller Parteien erreicht werden, der die Nutzung von Social Bots verbindlich ausschließen würde. Einige Aussagen und Netzaktivitäten der Parteien waren in der Vergangenheit widersprüchlich. Ein Beweis, welche Partei Social Bots eingesetzt hat und wofür, kann praktisch kaum geführt werden. Zudem ist es aufgrund des föderalen Aufbaus von Parteien schwer, eindeutig Verantwortliche zu benennen.
R3: Sollten bei “Regime-Change”-Einsätzen möglichst alle Kulturgüter dieses Regimes gezielt vernichtet werden?
R4: Brauchen wir die “gläserne” Gesellschaft?
Infotext: Unter einer Gläsernen Gesellschaft verstehen wir eine Gesellschaft, in der regelmäßig alle relevanten, sozio-ökonomische Daten pseudonym erhoben und auf einzelne Wohnblocks bzw. Straßenzüge genau aufgelöst veröffentlicht werden. Solche Daten umfassen beispielsweise Einkommen, Beruf, Alter, Geschlecht, Kriminalität, Konsum, Gesundheit und Bildung. Sie ermöglichen somit umfangreiche Analysen und statistische Auswertungen, was gemeinhin unter dem Begriff “Big Data” zusammengefasst wird. Die Daten sind allgemein zugänglich und stehen insbesondere öffentlichen und privaten Akteuren zur Planung von beispielsweise Infrastruktur und sonstigen Leistungen wie Schulen, Supermärkten und Polizei zur Verfügung.
HF: Sollte die NATO die Türkei aus dem Bündnis ausschließen?
F: Hat der Mensch eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, sein persönliches Potenzial so weit wie möglich im Interesse des Gemeinwohls auszuschöpfen, auch zu Lasten persönlicher Präferenzen?
WDM:
R1: Gesetzt den Fall, es ist durchsetzbar: Sollte die religiöse Erziehung Minderjähriger verboten werden?
R2: Sollte die EU sofort in Lettland militärisch intervenieren?
Infotext: Zwischen 1939 bis 1991 gehörte Lettland wie Estland und Litauen zur Sowjetunion. Alle drei Länder sind seit dem Jahr 2004 Mitglieder der EU und der NATO. Der Anteil der ethnischen Russen in Lettland beträgt 34%. Sie gelten in Lettland als “Nichtbürger” mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht aber ohne Wahlrecht.
- 4. August 2017: Russische Medien berichten über angeblich geplante gesetzliche Diskriminierungen der russischen Minderheiten in den baltischen Staaten. Die russische Regierung fordert Lettland dazu auf, jegliche Diskriminierung zu unterlassen.
- 5. August 2017: Die lettische Regierung dementiert, dass solche Gesetze geplant sind. Gleichzeitig weist sie jede Einflussnahme Russlands auf ihre inneren Angelegenheiten zurück.
- 7. August 2017: In Lettland kommt es in verschiedenen Städten zu Demonstrationen der russischen Minderheiten gegen die angeblich geplanten Gesetze. Dabei kommt es teilweise auch zu gewaltsamen Ausschreitungen.
- 11. August 2017: Im Osten Lettlands, in der Nähe der russischen Grenze, werden bewaffnete Personen in Militärischer Uniform ohne Hoheitszeichen gesichtet, die Straßen und Polizeistationen in der Nähe der russischen Grenze besetzen. Es kommt zu Schusswechseln mit der Polizei und zu Verletzten.
- 12. August 2017: Russland gibt die Mobilisierung von über 100.000 Soldaten in der Nähe der lettischen Grenze bekannt, „um ein Übergreifen des Konflikts nach Russland zu verhindern“. Lettland verfügt insgesamt über ca. 5000 Soldaten.
- 13. August 2017: Die lettische Regierung wirft Russland die Vorbereitung einer Invasion vor und bittet die NATO um Unterstützung. Russland weist alle Vorwürfe zurück. Bei den Bewaffneten Aufständischen in Lettland müsse es sich um Selbstverteidigungskräfte oder besorgte Bürger handeln.
- 14. August 2017: Donald Trump twittert um 3:30 Uhr: “Where the fuck is Latvia?!? #noonecares #SAD”. Der amerikanische Regierungssprecher gibt wenige Stunden später bekannt, dass sich die USA aus diesem Konflikt heraus halten werden.
- 15. August 2017: Lettland wendet sich an die EU und bittet um eine sofortige militärische Intervention. Die russische Regierung gibt bekannt, dass sie alle russischen Bürger schützen werde, “egal in welchem Land sie sich befinden”
R3: Sollte in westlich liberalen Demokratien über Gesetzesvorhaben, die primär Frauen betreffen (beispielsweise Abtreibung, Mutterschutz, social freezing, frauenspezifische Antidiskriminierungsgesetze), nur von Frauen abgestimmt werden?
R4: Es ist 2003. Sollten wir als SPD die Agenda 2010 umsetzen?
Infotext: Im Jahr 2003 besteht die Regierungskoalition in Deutschland aus SPD und Grünen. Die Arbeitslosigkeit hat in diesem Jahr eine Rekordhöhe erreicht. Als Reaktion wird die Agenda 2010 erdacht. Sie beinhaltet insbesondere folgende Maßnahmen:
- Erleichterung von Leiharbeit
- Arbeitsverhältnisse können leichter befristet oder gekündigt werden
- Verkürzung von Arbeitslosengeldbezug auf 12 statt 24 Monate
- Pflichtfür Arbeitslose, Jobs anzunehmen, für die sie überqualifiziert sind
- Verpflichtung, eigenes Vermögen (bis zu einem gewissen Grad) zur Deckung des Lebensunterhalts zu verkaufen, bevor man Geld vom Staat bekommt
HF: Sollte die Volksrepublik China die Hanzi-Schriftzeichen durch das lateinische Alphabet ersetzen?
F: Hat der Mensch eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, sein persönliches Potenzial so weit wie möglich im Interesse des Gemeinwohls auszuschöpfen, auch zu Lasten persönlicher Präferenzen?
NODM:
R1: Sollte es die Verpflichtung geben, eine Patientenverfügung zu verfassen?
Infotext: Eine Patientenverfügung ist ein Dokument, in dem eine Person eine Willensäußerung in Bezug auf potenzielle medizinische Situationen tätigen kann, in denen sie selbst nicht mehr zur Willensäußerung fähig ist. Damit verbunden ist die Zustimmung zu oder Ablehnung konkreter Maßnahmen, wie künstliche Ernährung, Beatmung oder intensivmedizinische Maßnahmen.
R2: Sollte Deutschland auf im Ausland unter prekären Bedingungen produzierte Güter eine Entwicklungshilfeabgabe erheben, die zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Ländern verwendet wird?
R3: Sollte der Einsatz von “agents provocateurs”/Lockspitzeln durch den Staat zulässig sein?
Infotext: Als “agent provocateur”/Lockspitzel bezeichnet man eine Person, die im Auftrag staatlicher Behörden (wie Polizei oder Staatsanwaltschaft) einen Dritten zur Begehung einer Straftat verleiten soll. Ziel ist es dabei, den Dritten bei der Tatausführung auf frischer Tat zu ertappen und so die nötigen Beweise für eine Verurteilung zu sichern. Beispielhaft ist ein verdeckter Ermittler, der einen mutmaßlichen Dealer dazu auffordert, ihm Drogen zu beschaffen. In Deutschland ist der Einsatz von “agents provocateurs”/Lockspitzeln rechtswidrig.
R4: Sollten zur Befriedung des Konflikts zwischen Israel und Palästina der Gaza-Streifen und das Westjordanland an die jeweiligen Nachbarländer (Ägypten und Jordanien) angegliedert werden?
HF: Sollte man Thordis Elva und Tom Stranger eine Bühne geben?
Infotext: Die Isländerin Thordis Elva wurde 1996 mit 16 von ihrem damaligen Highschool-Freund, dem 18-jährigen australischen Austauschschüler Tom Stranger im Anschluss an einen Schulball vergewaltigt. Trotz großer körperlicher und seelischer Wunden zeigte sie das Verbrechen nicht an. Im Rahmen ihrer langjährigen Bemühungen das Erlebte zu verarbeiten kontaktierte sie schließlich, 9 Jahre später, den nun in Australien lebenden Tom Stranger. Er schrieb ihr, dass er bereit sei, alles zu tun um ihr den Verarbeitungsprozess zu erleichtern und erkannte seine Schuld an. Nach einem mehrjährigen Aufarbeitungsprozess, in dessen Rahmen zunächst ein langer Mailaustausch und später einige Treffen erfolgten, schrieben die beiden gemeinsam ein Buch. Thordis Elva sagt heute, dass ihr diese Art der Aufarbeitung eine bessere Verarbeitung des Erlebten ermöglichte, obwohl sie ihm nicht verziehen hat. Der Ted talk zu ihrem Buch wurde 750.000x aufgerufen und die beiden erzählen ihre Geschichte im Rahmen von Vortragsreisen.
F: Hat der Mensch eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, sein persönliches Potenzial so weit wie möglich im Interesse des Gemeinwohls auszuschöpfen, auch zu Lasten persönlicher Präferenzen?
Von Lennart Lockstein, Quelle: http://www.achteminute.de/20170430/regionalmeisterschaften-2017-tuebingen-muenster-und-berlin-sind-sieger/