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„Wer nicht redet, wird nicht gehört“ – Abschied von Helmut Schmidt

Helmut Schmidt (c) Werner Bartsch
Unterstützer und Schirmherr der ZEIT DEBATTEN-Serie Helmut Schmidt (c) Werner Bartsch

“ ‚Wer nicht redet, wird nicht gehört‘ – Altbundeskanzler Helmut Schmidt war tief mit der Debatte und dem Debattieren verbunden. In der Überzeugung, selbst einen wichtigen Teil zum politischen Diskurs beitragen zu können, suchte Helmut Schmidt immer wieder den Kontakt zur Öffentlichkeit.

Helmut Schmidt beließ es nie beim Reden, im Herzen war er immer auch Macher, der sich nach Erkenntnis der richtigen Vorgehensweise auch für diese Überzeugung einsetzte. Sein Charakter verkörperte das Debattieren – nicht nur im Amt vermochte er es, seiner Stimme Gehör zu verschaffen.

Der Verband der Debattierclubs an Hochschulen e.V. und die Deutsche Debattiergesellschaft e.V. trauern um Helmut Schmidt als einen der letzten großen Staatsmänner. Er war ein Debattant par excellence, dessen Schirmherrschaft für die ZEIT DEBATTEN-Serie seit 2007 eine Ehre für all jene Studenten darstellte, die sich der demokratischen Streitkultur verschrieben haben.

Wir verlieren in ihm einen Menschen, der bis ins hohe Alter die Ereignisse der Europa- und Weltpolitik so kenntnisreich wie streitbar kommentierte. Wie kaum ein anderer setzte sich Helmut Schmidt über Jahrzehnte hinweg für Demokratie, für Diskurs und für Deutschland ein.

Unser Dank und unsere Hochachtung gilt seiner außergewöhnlichen Lebensleistung.
In seinem Andenken wollen wir mit dem weitermachen, was uns so sehr mit Helmut Schmidt verbindet: Reden, um gehört zu werden.

Unser aufrichtiges Mitgefühl gilt seiner Lebensgefährtin Ruth Loah und seiner Tochter Susanne Schmidt.“

Jan Ehlert, Präsident des Verband der Debattierclubs an Hochschulen e.V.
Jens Henning Fischer, Präsident der Deutschen Debattiergesellschaft e.V.

 

 

Gute Nacht, Freunde…

Zum Tod von ZEIT DEBATTEN-Schirmherr Helmut Schmidt

Ein Nachruf von Daniel Sommer

Florian Illies beschrieb die Kindheit der „Generation Golf“ mit den Worten, „wenn man den Fernseher anmachte, sah man immer Helmut Kohl.“ Illies ergänzte, dass man über die Zeit nach 1945 insgesamt nicht viel wusste, außer „dass irgendwann Helmut Kohl kam. Und dass er unendlich lange blieb.“ Das ist lustig, aber natürlich Quatsch.

Schon immer da gewesen und unendlich lange geblieben ist ein anderer Helmut. Helmut Schmidt, der als Schirmherr der ZEIT DEBATTEN über viele Jahre die Rolle des Patrons des deutschsprachigen Hochschuldebattierens innehatte.

Von den letzten Vertretern der Generation Käfer bis zu den ersten der Generation New Beetle, begleitet wurden wir alle von Helmut Schmidt. Als Senator der Stadt Hamburg, als Bundeskanzler der Bundesrepublik, als Herausgeber der ZEIT, als weltbürgerlicher „Elder Statesman“ hat er uns die Welt erklärt. Wir schätzten seine Meinung, vor allem weil er verstand, sie deutlich zu erklären. Und wenn es über andere heißt, sie sprächen druckreif, so war das bei Schmidt gerade andersherum. Jeder Leitartikel eine kleine oratio. Man meinte fast, ihn zu hören, wenn er Spalte für Spalte, Buch um Buch das politische Geschehen sezierte.

Wenn man, wie Christoph Busch es immer angeregt hat, das Debattieren als Boxkampf versteht, dann war Schmidt Muammad Ali. Er konnte austeilen wie kein anderer. Er konnte auch einstecken, musste das aber selten. Was als rednerische Arroganz verstanden werden konnte, war in den meisten Fällen nur seine intellektuelle Überlegenheit. Und wer doch einmal Schmidts Deckung durchbrach, musste immer mit einem Konter rechnen. Auf die Bretter geschickt wurde er selten.

Der Debattenredner Helmut Schmidt beherrschte die gesamte Klaviatur der Rhetorik. Seine Fixierung auf Daten, Zahlen und Fakten glich er mit lebhaftem, oft aggressivem Stil aus. Ordnung musste sein, Struktur war oberstes Gebot. Die Gestik war, wie seine Stimme, scharf und schneidend. Und wenn seine Mimik, wie zum Beispiel im TV-Duell mit Genscher gegen Strauß und Kohl vor der Bundestagswahl 1980, immer wieder Ablehnung und Missachtung seiner Gegner ausdrückte, so war das mit Sicherheit bewusstes Kalkül, nicht etwa ein Riss in der Fassade norddeutscher Kontenance.

Pathos war ihm fremd, vielleicht sogar verdächtig, nach der Erfahrung mit den Demagogen der Nazi-Zeit. Vor Polemik ist er indes nie zurückgeschreckt. Ethos hat er sich hart erarbeitet und dann immer wieder eingesetzt. Bevorzugtes Mittel der Überzeugung war für Schmidt aber immer der Logos. Er kam über die „rechten Kriterien“, wie wir das heute in OPD-Sprech nennen. Dabei war Schmidt clever genug, wie der Tübinger Rhetorik-Professor Gerd Ueding in seinem Essay „Nüchterne Leidenschaft. Der Redner Helmut Schmidt“ beobachtet, sich nicht auf die inhaltliche Überzeugungskraft seiner Argumente zu verlassen. Er wollte nicht nur Recht haben, sondern auch Recht behalten. Schmidt war ein Meister darin, seine Prämissen und Schlussfolgerungen jeweils so zu präsentieren, als würden sie widerspruchslos an die Haltung seines Publikums anknüpfen. Nicht immer erfolgreich, aber immer rhetorisch brillant konstruiert. Und häufig genug in eine reizvolle Form aus klassischen Figuren, Stilmitteln und Redeschmuck gegossen.

Schmidts Redekunst war immer von Energie und Dynamik geprägt. Auch noch, als er seine Vorträge in hohem Alter schon längst nicht mehr stehend am Rednerpult sondern sitzend an einem Tisch auf dem Podium hielt, noch später im Rollstuhl. Präzise Formulierungen, elegante Konstruktionen und akzentuierende Betonung zogen weiterhin das Publikum in seinen Bann. Selbst das Hörgerät hat ihn in Debatten nie eingeschränkt. Es schien immer blendend zu funktionieren, auch bei schweren Fragen und scharfem Gegenwind. Nur bei dummen Kommentaren schien es manchmal seinen Dienst zu versagen.

Wer zu jung ist, um Schmidt noch im Parlament erlebt zu haben, der hat denselben Dogmatiker der Vernunft dann in der Kolumne „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“ oder als Stammgast bei Sandra Maischberger kennengelernt. Mentholzigaretten und Cola waren eine in allen Studios gelittene Marotte. Nur das würdelose Ritual des Tabakschnupfens wurde von der Bildregie beflissentlich ausgeblendet. Griff Schmidt in seine Westentasche, wurde flugs auf die Moderatorin geschnitten. Aus dem Off hörte man dann ein verhaltenes Niesen, gefolgt von einem genussvollen Schnäuzen, wenn Schmidt die überflüssige Gletscherprise in das hanseatische Taschentuch entsorgte.

Es wäre allerdings falsch, den Redner Helmut Schmidt auf den Polemiker im Plenarsaal oder den Kommentator auf der Couch im Fernsehstudio zu reduzieren. Dass er auch die leisen, zarten und gefühlvollen Töne beherrschte, zeigte er beispielsweise im Jahr 2002 bei seiner Rede auf der Trauerfeier für Marion Gräfin Dönhoff im Hamburger Michel. Alle Schroffheit wie weggeblasen, Schmidt fast rührend, so privat, wie ein Hanseat in der Öffentlichkeit eben sein kann. Große Kunst.

Nun ist Helmut Schmidt im Alter von 96 Jahren in seinem rotgeklinkerten Doppelhaus in Hamburg Langenhorn gestorben. Er bleibt ein Vorbild, dem viele von uns nacheifern, das wir manchmal auch kopieren. Kaum ein Debattant, der nicht schon einmal das Schmidtsche Bonmot zitiert hat, „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!“, egal, ob er Visionäre angreifen oder verteidigen wollte – oder, wie ich es auch schon erlebt habe, um sich über die deutsche Ärzteschaft auszulassen.

Vergessen wir einen Moment den Ärger über das schlechte Thema der letzten Vorrunde oder den Streit über die Jurorenentscheidung der letzten Finaldebatte. Lasst uns lieber einen Moment innehalten und erinnern wir uns daran, dass das Studium der Rhetorik und die Übung der freien Rede mehr sind als nur Skills oder Spiegelstriche im Lebenslauf. Erinnern wir uns gemeinsam daran, wie Helmut Schmidt als Rhetor vorgelebt hat, dass gutes Reden und gutes Handeln Hand in Hand gehen. Die Lektion des Meisters lehrt uns, dass die Rednerschule nicht nur gute Redner hervorbringen soll, sondern auch gute Menschen, aufgeklärte Bürger und bedächtige Politiker.

Es bleiben Dank und Abschied. Wir können uns geehrt fühlen, unser Hobby so viele Jahre unter der Schirmherrschaft von „Schmidt Schnauze“ ausgeübt zu haben. In den Worten des Barden: „Gute Nacht, Freunde. Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette…“ – nun ohne Helmut Schmidt. Er fehlt schon jetzt.